Aufgewühlt

Hat jemand von euch Ally McBeal gesehen? Da gab es den kleinen, sehr guten John, der gerne sagte: „Das wühlt mich auf.“ An den muss ich heute denken, denn ich bin sehr aufgewühlt.
Ich habe ja heute früh schon geahnt, dass der Tag stressig wird, denn ich habe Christian gestern Abend mitgeteilt, dass diese Woche total beschissen ist. Darum habe ich mir heute früh ein bißchen von meinem Vanille-Zitrone-Parfüm aufs Handgelenk getan, um dran zu schnüffeln und mich zu beruhigen, wenn die Post abgeht. Und holla, die ging heute ab.
Die Kasse ist alle paar Minuten total abgeschmiert, Serverneustart und völlig neu entdeckte Fehlermeldungen inklusive. Aber als wäre das nicht genug, sind die Leute heute auch völlig neben sich.

Ich hatte heute drei (!!) Familien, die sich wie die Blöden darum gestritten haben, wo sie bei der jeweiligen Veranstaltung sitzen wollen (Schmollen und Lautwerden inbegriffen, versteht sich). Bei einer Vater-Mutter-Tochter-Tochter-Konstellation bin ich sogar überzeugt, dass es zu Handgreiflichkeiten gekommen wäre, wenn ich nicht meine kompetente Meinung (mittels gut verpacktem Kompromiss) eingeworfen hätte.

Und dann: Stadt-Gutscheine. Wir sind die einzige Verkaufsstelle für Geschenkgutscheine, die in den meisten Geschäften der Stadt einzulösen sind. An diesen Dingern verdienen wir keinen Cent, da die Läden den bei uns zu 100% zurück-einlösen, haben aber gut Arbeit damit. Nun trug es sich in einem nicht allzu fernen Horrorland zu, dass die 10er und 5er ausgegangen sind. Nachdrucktermin: Ungewiss, irgendwelche Komplikationen oder Änderungen gibt es da wohl. Um genau zu sein, stehen wir jetzt schon drei Wochen ohne 10er und zwei Wochen ohne 5er da. Bleiben die 25er, die den meisten Leuten aber (wie ich auch durchaus verstehen kann) zu hoch sind.
Oft geführter Dialog: „Ich möchte bitte einen Gutschein über 15 Euro.“ – „Tut mir leid, wir haben nur noch 25er.“ – „Dann geben Sie mir eben einen 10er und einen 5er.“ – „Tut mir leid, 10er und 5er sind aus, nur noch 25er sind da.“ – „Dann geben Sie mir halt drei 5er.“ – „Haben wir leider nicht mehr. Nur noch 25er.“ – „Oh. Und 10er?“ Raaaaaah.
Und Himmel, wie sich die Leute da aufregen. O-Ton: „Na das ist aber peinlich! So was muss doch immer da sein!“ Danke für den guten Rat, Meister. Auf Dauer ist es echt kaum noch auszuhalten wie die Leute einen ansehen, als würde man ihnen die Gutscheine aus purer Bosheit oder Unverschämtheit vorenthalten.

Aber besonders gern hatte ich heute eine Dame, die sich Oups-Bücher ansehen wollte. Wir besitzen von den Dingern zwei Varianten, je etwa fünf Exemplare – also beileibe kein Standbein. Verkauft werden die Dinger auch nur alle paar Monate. Oups, das ist wohl ein missglückter Diddl und diese Bücher sind so „ich-hab-dich-lieb“-Verschnitte, mit ein bißchen, vermutlich leicht-kitschigem, Text und achsosüßen Bildern auf jeder zweiten Seite.
Jedenfalls wollte sich diese Frau eines der Bücher mal von innen ansehen. Ich habe dann im Lager auch eines entdeckt, dessen Folie schon geöffnet war. Zwar die andere Variante, aber das reicht ja völlig um sich einen Überblick zu verschaffen. Dachte ich. Ich stand dann also satte zehn Minuten am Tresen, während sich die Frau dieses Büchlein Seite für Seite durchgelesen hat. Als sie dann durch war (mein Geduldsfaden schon zum Zerreißen gespannt), blafft sie mich dann ohne jede Vorwarnung an: „Sagen Sie mal, wieso verkaufen Sie denn diese Bücher, wenn man überhaupt nicht reingucken kann?!“ Ich versuche ihr also zu erklären, dass in den beiden Büchern nur die Geschichte variiert und der Aufbau ja derselbe ist, sie sich hier also ein Bild machen kann (verkneife mir: sie muss das Buch ja nicht auswendig lernen bevor sie es kauft), und dass ich ein offenes Exemplar nunmal nicht verkaufen kann, zumal wir nur wenige davon haben (verkneife mir: und es mir scheißegal ist, ob wir dieses auch behalten oder nicht).
Sie wiederholt Ihre Forderung leicht umformuliert in einem anhaltend unverschämten Ton und fügt hinzu: „Ich wollte das meiner Tochter zur Hochzeit schenken!“ Ah, na das ändert natürlich alles. Ich habe wiederholt, dass ich leider kein weiteres Buch öffnen kann und gesagt, dass wir nunmal kein Buchhandel sind und sie sich vielleicht besser an jenen wenden sollte.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich total überrascht bin, wie freundlich meine Stimme dabei klang. Ich war innerlich kurz davor, die Frau zu erwürgen und diese Antwort war die unverschämteste, die ich in meinen 12 Monaten Lehrzeit je einem Kunden gegeben habe, aber meine Stimme klang so nett als wäre es, in diesem Moment, nicht meine. Daraufhin habe ich mich einfach umgedreht und das geöffnete Buch ins Lager zurückgebracht.
15 Minuten später, als die Kasse nach einem längeren Aussetzer wieder funktionierte und ich eingegeben habe, was wir in der Zwischenzeit verkauft und aufgeschrieben hatten, war übrigens auch ein Oups-Buch dabei. Ich bin ziemlich sicher, dass das kein Zufall war…